Alle haben es geahnt und alle haben es erwartet: die Verhandlungen der griechischen Regierung mit den Gläubigern sind vorerst gescheitert. Und das ging gleich so massiv daneben, dass dieses Ereignis an den Börsen weltweit ein Erdbeben bis zur Stärke 5 ausgelöst hat. Allein der DAX verlor heute vorbörslich rund fünf Prozent und auch der Euro ist angeschlagen. Die skandinavischen Börsen blieben ebenfalls nicht verschont, verloren allerdings nicht in diesem Ausmass. Warum musste es überhaupt soweit kommen? Warum gab es keinen tragfähigen Kompromiss? Die Erklärungen reichen vom Unvermögen der Griechen, sich zu ändern, bis zur Vermutung, dass man mit einer sozialistischen Regierung in Griechenland eben keine ernsthaften Verhandlungen führen will. Verschiedene Äusserungen europäischer Politiker lassen natürlich auch Verschwörungstheorien ins Kraut schiessen. Ein Körnchen Wahrheit wird wohl in jedem Argument zu finden sein. Aber es kann auch an etwas anderem liegen: sie benutzen die gleichen Worte und meinen doch etwas anderes. Die griechischen Schuldner und die europäischen Gläubiger sprechen verschiedene Sprachen – und damit meine ich jetzt nicht griechisch und deutsch, englisch, französisch und so weiter, sondern im übertragenen Sinn: sie sprechen verschiedene Sprachen in der Sache. Die griechische Regierung spricht „sozialpolitisch“, während die Kommission „finanzpolitisch“ spricht. Während die griechische Regierung – und das nehme ich Alexis Tsipras sogar ab – etwas für ihr Volk erreichen will, lagen die Interessen Troika und der Gläubiger ganz allgemein darin, möglichst wenig Geld zu verlieren. Es ist eine „systemischen Sprachverwirrung“. Die Folge: Streit, Missverständnisse und Zerwürfnis. Wie sieht die finanzielle Seite aus? Natürlich müssen Schulden zurückgezahlt werden. Aber man darf auch nicht vergessen, dass die Gläubiger (hohe) Zinsen dafür bekommen haben, ein Risiko eingegangen zu sein. Normale Geschäfte an den Kapitalmärkten. Wenn der Risikofall jedoch eintritt, muss der Gläubiger das Risiko auch tragen, zumal er vorher eine relativ hohe Rendite hatte. Aber welcher Gläuber (in diesem Fall hauptsächlich Banken und Finanzkonglomerate) nimmt schon einen Verlust in Kauf, wenn es andere Möglichkeiten gibt? Beispielsweise Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren? Funktioniert ja seit Jahrzehnten, der politisch-finanzielle Komplex lässt grüssen. Den europäischen Steuerzahler kann man immer anzapfen. Wie sieht die politische Seite aus? Natürlich müssen Verträge eingehalten werden. Und man kann sich einen Domino-Effekt (Irland, Portugal, Spanien) partout nicht leisten. Europa würde politisch zerfallen, das Jahrhundert-Projekt wäre Geschichte, noch bevor es Geschichte machen könnte. Hart zu bleiben ist also erste Eurokraten-Pflicht. Dabei hätte man mit der neu gewählten Regierung in Athen die besten Voraussetzungen für eine Änderung der griechischen Verhältnisse. Ist es da nicht egal, dass es eine sozialistische Regierung ist? Oder fürchtet man auch hier eine Ansteckung? Aber was ist denn die Alternative? Das gleiche Regierungslager, das Griechenland in den letzten 50 Jahren durch seine falsche Politik, Korruption und Vetternwirtschaft erst in das Chaos geführt hat? Ernsthaft? |